Einwilligung
Informationsweitergabe gestützt auf eine Einwilligung
Status: definitiv
EINLEITUNG
Die Fachperson muss immer, wenn sie Informationen aus dem Behandlungsverhältnis an Dritte weitergeben will, zuerst die betroffene Patientin oder den betroffenen Patienten um eine entsprechende Einwilligung ersuchen. Damit ein/e Patient/in gültig einwilligen kann, muss er/sie urteilsfähig sein. Die Urteilsfähigkeit wird in Artikel 16 ZGB mit „vernunftgemässem Handeln“ definiert und liegt dann vor, wenn kumulativ die folgenden Elemente vorhanden sind:
- Erkenntnisfähigkeit, d.h., erkennen können, um welchen Sachverhalt es geht;
- Wertungsfähigkeit, welche ermöglicht, den fraglichen Vorgang in einem Zusammenhangeinzuordnen;
- die Fähigkeit, auf Grund der Erkenntnis und der Wertung einen eigenen Willen zu bilden und danach zu handeln.
Ist eine Einwilligung nicht erhältlich, aber die Weitergabe von Informationen aus Sicht der Behandelnden unbedingt notwendig, kann bei der zuständigen Aufsichtsbehörde, d.h. im Kanton Bern beim Kantonsarztamt, um eine Befreiung von der Schweigepflicht ersucht werden (vgl. dazu Ziffern 3 und 4).
WEITERGABE VON INFORMATIONEN AN DRITTE BEI AUFENTHALTEN IN INSTITUTIONEN
2.1 Informationsfluss von ZuweiserInnen an (psychiatrische) Institutionen
Wird eine Patientin/ein Patient von einer sie bereits behandelnden Fachperson in eine Institution zugewiesen, geht dieser Überweisung eine Aufklärung durch die Fachperson über den vorgesehenen Aufenthalt in der Institution und dessen Sinn und Zweck voraus. Im Rahmen dieser Aufklärung soll die Patientin/der Patient darüber informiert werden, dass der psychiatrischen Institution Angaben und Daten übermittelt werden und sie/er soll dazu ihr/sein Einverständnis geben. Dies braucht nicht schriftlich zu erfolgen, es sollte allerdings in der Behandlungsdokumentation der Fachperson festgehalten werden.
Die Fachperson darf der (psychiatrischen) Institution nur jene Informationen zukommen las-
sen, die für die vorgesehene Behandlung auch nötig sind (ist die Fachperson z.B. seit vielen Jahren Grundversorgerin der Patientin, ist nicht die ganze Behandlungsdokumentation weiterzugeben, sondern es dürfen lediglich die in diesem Zeitpunkt relevanten Informationen weitergegeben werden).
2.2 Informationsfluss von (psychiatrischen) Institutionen an ZuweiserInnen
Ist die zuweisende Fachperson auch während des stationären Aufenthaltes in die Behandlung involviert, können ihr mit Einverständnis der Patientin/des Patienten die erforderlichen Informationen übermittelt werden. Ist die zuweisende Fachperson auch an der Nachbehandlung beteiligt, ist dies mit der Patientin/dem Patienten zu besprechen und eine Einwilligung bezüglich der Weitergabe der erforderlichen Angaben und Daten einzuholen (analog Ziffer 2.1).
2.3 Informationsfluss von (psychiatrischen) Institutionen an NachbehandlerInnen
Wird die Patientin/der Patient zur Nachbehandlung einer Fachperson überwiesen, die bisher noch nicht in die Behandlung einbezogen war, verhält sich die Informationsweitergabe wie bei Ziffer 2.1: Die Patientin/der Patient wird über die vorgesehene Nachbehandlung informiert und aufgeklärt und muss sich damit und mit der dazugehörigen entsprechenden Weitergabe von Informationen einverstanden erklären.
2.4 Informationsfluss an Angehörige
Angehörige sind häufig eng in die Behandlung und Betreuung von Patientinnen und Patienten eingebunden, ohne dass ein entsprechendes formelles rechtliches (Vertretungs-) Verhältnis besteht, d.h., ohne dass die Angehörigen eine vormundschaftliche Aufgabe wahrnehmen. Es ist deshalb sorgfältig darauf zu achten, dass die Weitergabe von Informationen immer im Einverständnis mit der betroffenen Person erfolgt. Dieses Einverständnis kann sich je nach Umständen stillschweigend ergeben, z.B., wenn die betroffene Person die Angehörigen von sich aus beizieht und deren Einbezug in die Behandlung fordert.
2.5 Weitere Informationsflüsse
Bei Informationsflüssen von der (psychiatrischen Institution) an andere beteiligte Personen oder Stellen (z.B. Sozialdienste) sind die Grundsätze betreffend Aufklärung über die vorgesehenen Kontakte und Informationsflüsse sowie Einholen der entsprechenden Einwilligung zu beachten.
DIE BEFREIUNG VON DER SCHWEIGEPFLICHT DURCH DAS KANTONSARZTAMT
Wenn eine Fachperson einer nicht am Behandlungsverhältnis beteiligten Person, Fachperson oder Behörde eine Mitteilung machen will, muss sie – wie in Ziffer 1 ausgeführt - grundsätzlich immer zuerst versuchen, die Einwilligung der Patientin oder des Patienten zu erhalten. Es gibt jedoch Fälle, in denen eine Einwilligung nicht erhältlich ist oder in denen es im Voraus klar ist, dass die betroffene Person nicht einwilligt. In diesen Fällen kann beim Kantonsarztamt eine Befreiung von der Schweigepflicht beantragt werden (zum Vorgehen vgl. Ziffer 4). Dies ist insbesondere bei den nachfolgenden Sachverhalten der Fall (keine abschliessende Aufzählung):
3.1 Einfordern von ausstehenden Honorarbeträgen
Grundsätzlich sollte die Fachperson bei Beginn des Behandlungsverhältnisses die Einwilligung der Patientin oder des Patienten einholen, dass sie das Honorar auch durch einen Dritten einfordern kann. Liegt keine solche Einwilligung vor und will eine Fachperson eine Patientin oder einen Patienten betreiben oder die Forderung einem Inkassobüro übertragen, dürfte es in der Regel aussichtslos sein, die Patientin bzw. den Patienten um ihre bzw. seine Einwilligung zu ersuchen. In solchen Fällen muss bereits vor der Einleitung der Betreibung bzw. Übertragung der Forderung an ein Inkassobüro beim Kantonsarztamt ein Gesuch um Befreiung von der Schweigepflicht eingereicht werden, und nicht etwa erst, wenn die Forderung gerichtlich durchgesetzt werden soll (zum Inhalt eines Gesuchs um Befreiung von der Schweigepflicht: vgl. Ziffer 4).
3.2 Meldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Art. 443 ZGB, so genannte „Gefährdungsmeldung“)
Stellt eine Fachperson im Rahmen einer Behandlung fest, dass eine Person evtl. Unterstützung durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde benötigt (z.B. wenn sie nicht mehr in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen), ist sie berechtigt, der Behörde Meldung zu erstatten. Erfährt sie von einer solchen Person in amtlicher Tätigkeit, besteht sogar eine Meldepflicht. Vor der Meldung muss sich die Fachperson vom Kantonsarztamt von der Schweigepflicht befreien lassen. Eine Befreiung von der Schweigepflicht ist nicht erforderlich, wenn eine ernsthafte Gefahr im Sinne von Artikel 453 ZGB besteht (vgl. Ab-schnitt B Ziffer 4.4).
Das gleiche Vorgehen muss gewählt werden, wenn eine Fachperson vermutet, dass eine Person ihre Erziehungspflichten gegenüber ihren minderjährigen Kindern nicht richtig wahrnehmen kann. Auch in solchen Fällen muss vorgängig eine behördliche Befreiung von der Schweigepflicht eingeholt werden.
Ebenso ist eine Befreiung von der Schweigepflicht notwendig, wenn eine Schulärztin oder ein Schularzt der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Meldung über eine Person erstattet, die ihr hilfsbedürftig erscheint. Eine Befreiung ist nicht erforderlich, wenn an einer minderjährigen Person eine strafbare Handlung begangen wurde (vgl. Abschnitt B Ziffer 4.5).
3.3 Auskünfte im Rahmen von Strafverfahren
Wenn die Strafverfolgungsbehörden (Polizei oder Staatsanwaltschaft) Auskünfte über eine Patientin oder einen Patienten verlangen, muss grundsätzlich vorgängig eine Befreiung von der Schweigepflicht durch das Kantonsarztamt verlangt werden. Ausnahmen können dann vorliegen, wenn eine Fachperson ein Melderecht hat (vgl. Abschnitt B Ziffer 4.1) und dieses auch wahrnehmen will.
Diejenigen Gesundheitsfachpersonen, die dem Berufsgeheimnis nach Artikel 321 StGB unterliegen, haben in Strafverfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 171 StPO10). Sie müssen aussagen, wenn sie einer Anzeigepflicht unterliegen oder von der betroffenen Person oder von der Aufsichtsbehörde von der Geheimnispflicht entbunden worden sind. Die Strafbehörden können das Berufsgeheimnis auch bei Entbindung von der Geheimnispflicht beachten, wenn glaubhaft gemacht wird, dass das Geheimhaltungsinteresse das Interesse an der Wahrheitsfindung im Strafprozess überwiegt.
Fachpersonen, die nicht der Schweigepflicht nach Artikel 321 StGB unterstehen, sind zur Aussage verpflichtet. Die Verfahrensleitung kann sie von der Zeugnispflicht befreien, wenn sie glaubhaft machen können, dass das Geheimhaltungsinteresse das Interesse an der Wahrheitsfindung im Strafverfahren überwiegt (Art. 173 Abs. 2 StPO).
3.4 Auskünfte im Rahmen von Strafverfahren betreffend Jugendliche
Nach Artikel 31 Jugendstrafprozessordnung11 arbeitet die Untersuchungsbehörde u.a. mit Personen aus dem medizinischen Bereich zusammen und holt bei ihnen die nötigen Auskünfte ein. Es besteht grundsätzlich eine Verpflichtung, die verlangten Auskünfte zu erteilen, doch das Berufsgeheimnis bleibt vorbehalten. Dies bedeutet, dass die Gesundheitsfachperson entweder die Einwilligung der betroffenen Person oder aber eine Befreiung vom Berufsgeheimnis durch das Kantonsarztamt einholen muss.
3.5 Auskünfte an Angehörige und nahe stehende Personen
3.5.1 Auskünfte über eine/n lebende/n Patient/in
Verlangen Angehörige oder nahe stehende Personen Auskünfte über eine Patientin oder einen Patienten, so muss immer zuerst die betroffene Person selbst ihre Einwilligung für die Weitergabe von Daten erteilen. Ist dies nicht möglich, weil sie urteilsunfähig ist (sei es, dass sie aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht in der Lage, ist eine rechtsgültige Einwilligung zu erteilen [z.B. bei Demenz] oder sei es, dass sie nicht ansprechbar ist), so muss aufgrund der Umstände entschieden werden, ob allenfalls von einer stillschweigenden Einwilligung der betroffenen Person ausgegangen werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die fraglichen Personen bereits während der Zeit, als die betroffene Person noch urteilsfähig war, in die Behandlung einbezogen worden waren.
3.5.2 Auskünfte über eine/n verstorbene/n Patientin/en
Die Bundesdatenschutzgesetzgebung (Art. 1 Abs. 7 der Bundesdatenschutzverordnung12) einerseits und das kantonale Datenschutzrecht (Art. 12 Datenschutzverordnung13) andererseits räumt den Ehepartnerinnen und –partnern, den eingetragenen Partnerinnen und Partner und den nahen Verwandten ein Auskunftsrecht ein. Dieses Auskunftsrecht führt jedoch nicht dazu, dass die Fachperson ohne Befreiung von der Schweigepflicht Auskünfte erteilen darf.
Wollen Angehörige oder nahe stehende Personen Auskünfte über eine verstorbene Person erhalten, so muss grundsätzlich immer beim Kantonsarztamt eine Befreiung von der Schweigepflicht verlangt werden. Geht es allerdings z.B. darum, nach dem Tode denjenigen Personen, welche die/den Verstorbenen bis zum Schluss begleitet und allenfalls betreut haben und somit über den Krankheitsverlauf informiert waren, Auskünfte über die Todesumstände zu erteilen, kann dies auch ohne Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen. Soll jedoch z.B. den Angehörigen Einsicht in die Behandlungsdokumentation gewährt werden, so ist eine Befreiung von der Schweigepflicht erforderlich.
WIE ERFOLGT EINE BEFREIUNG VON DER SCHWEIGEPFLICHT DURCH DAS KANTONSARZTAMT?
Die Fachperson muss dem Kantonsarztamt ein schriftliches Gesuch einreichen, welches mindestens folgende Angaben enthält:
- Initialen und Geburtsdatum (und evtl. Todesdatum) der Person, über die Auskünfte erteilt werden soll.
- Kurze Schilderung des Sachverhaltes und Begründung, wieso die Befreiung beantragt wird. Weshalb und wem soll Auskunft erteilt werden; wurde die betroffene Person vorgängig um Einwilligung angefragt und hat sie diese verweigert?
- Eigenhändige Unterschrift der Fachperson.
Das Kantonsarztamt nimmt darauf hin eine Interessensabwägung vor, d.h. es prüft, ob die geltend gemachten Gründe für eine Befreiung von der Schweigepflicht ein privates oder öffentliches Interesse darstellen, welches das grundsätzliche Interesse an der Einhaltung der Schweigepflicht zu überwiegen vermag. Je nach Ausgangslage gewährt das Kantonsarztamt der betroffen Patientin oder dem betroffenen Patienten das rechtliche Gehör, bevor es seinen Entscheid trifft.